Gerettet und fairteilt

Der Supermarkt der etwas anderen Art
Das Werk der Foodsaver, ein Regal voll mit frischem Obst und Gemüse. Vom Supermarkt aussortiert und hier jetzt kostenlos zu haben,

Mainz. Der blaue Kleinwagen ist schnell gefüllt. Ein Dutzend Kisten voll mit Obst und Gemüse laden Leila, Isabel und Elena ein. Kurz zuvor haben sie die Waren auf einem Trolley quer durch einen großen Mainzer Supermarkt gefahren, vorbei an der Kasse und den verwunderten Blicken der Kunden durch den Haupteingang hin zum Auto. „Bis vor kurzem durften wir noch den Lieferanteneingang benutzen“, sagt Leila. Jetzt nicht mehr, die Filialleitung könne so besser den Überblick behalten, welche Waren den Markt verlassen und wer sich im Lager aufhält. Der Markt gibt seine übrig gebliebenen Waren freiwillig ab, also kann er auch die Bedingungen bestimmen. Leila, Isabel und Elena sind Foodsaver, sie retten Lebensmittel. Vor der Tonne, vor der Verschwendung.

Denn alles, was sie heute hier abholen, kann der Supermarkt nicht mehr verkaufen. Weil das Obst ein paar braune Stellen hat, weil das Mindesthaltbarkeitsdatum des Fertigsalates gestern abgelaufen ist. Noch am Auto wird erst mal durchsortiert, was faul ist, wird sofort entsorgt. Viel ist das nicht, eine großer Teil der Lebensmittel hält dieser ersten Kontrolle stand.Ihre Beute bringen die drei dann zum „Fairteiler“- ein unscheinbares Holzregal in einem Hinterhof in der Mainzer Altstadt. Darin ein paar Kisten, die trockenes Brot und verdorrte Salate enthalten. „Wir müssen immer erst mal aufräumen, wenn wir her kommen“, sagt Isabel. Denn auch hier bleibt immer wieder etwas übrig.

Sortieren und verladen- die Foodsaver bei der Arbeit
Noch am Supermarkt kontrolliert Leila die Ware. Was verfault oder verschimmelt ist, wird noch vor Ort entsorgt.

Dabei kann sich an den Waren im Fairteiler jeder bedienen. Keine Kasse, keine Kontrolle. Wer etwas braucht, kommt her und nimmt es sich. Tag und Nacht, solange der Vorrat reicht. Das Sortiment bestimmen die Supermärkte und deren Kunden, was dort nicht mehr gewollt war, landet hier.
Doch zunächst einmal landen die Reste, die der Fairteiler gelassen hat, in der Biotonne gleich neben an. Dann wird aufgefüllt, sorgfältig sortiert, in Holzkisten und Plastikboxen gefüllt. Die ersten Interessenten sind schon da. Der Briefträger des Viertels schaut jeden Tag auf seiner Runde kurz vorbei. Heute nimmt er nur ein bisschen Obst mit. „Hab nicht soviel Platz“, sagt er und eilt weiter. Ein älterer Mann kommt, zum ersten Mal, wie er sagt. Leila steckt ihm einen der Fertigsalate zu und bietet Obst an. Er probiert gleich vor Ort, beißt in eine saftige Feige. Dann bedankt er sich herzlich bei den Frauen, zeigt sich aber auch besorgt. „Hoffentlich können Sie ihr Studium auch zu Ende bringen!“. Er fürchtet wohl, der Zeitaufwand fürs Lebensmittelretten sei zu groß und das Studium könne darunter leiden. Leila lächelt: „Das schaffen wir schon“. Dabei ist der Zeitaufwand tatsächlich nicht zu verachten. An jedem Werktag wird der Supermarkt angefahren und der Fairteiler gefüllt. Alle zwei bis drei Tage sind Leila, Isabel und Elena dran. Leila und Elena sind Studentinnen, Isabel arbeitet für einen Umweltschutzbund. Insgesamt sind sie ein Team von 20 bis 30 freiwilligen Helfern, sie wechseln sich ab. 130 Foodsaver seien es insgesamt allein in Mainz, sagt Leila nicht ohne Stolz. 30 davon sind aktiv dabei. Etwas andere Zahlen hat dagegen Kristijan Miklosebuc, „Botschafter“ der Mainzer Foodsaver. 110 Menschen aus der Landeshauptstadt hätten sich angemeldet, davon sind 40 aktiv dabei. „Neue Leute suchen wir immer“, sagt Miklobusec. Als Botschafter koordiniert er alle Aktivitäten der Foodsaver in Mainz.

Die Foodsaver organisieren sich in der Regel über die Website lebensmittelretten.de. Das Portal ist eine Initiative des Vereins foodsharing e.V. Über dieses Portal sprechen sich die ehrenamtlichen Helfer ab und organisieren ihre Lebensmittelrettungsaktionen. Die ersten Aktionen gab es im Februar 2012 in Berlin, seither wirken die Lebensmittelretter in ganz Deutschland. Nach eigenen Angaben sind es mittlerweile über 7000 Freiwillige, die ausschließlich ehrenamtlich Lebensmittel retten. 460.000 Kg sollen es bis heute gewesen sein, Kooperationen gibt es mit über 1000 Betrieben, darunter Supermärkte und Restaurants.

Als Antwort auf die Frage, warum sie sich als Foodsaver engagiert, wird Leila ein bisschen philosophisch. Klar, es geht darum Lebensmittel vor der Tonne zu retten. Aber sie sagt auch: „Der Fairteiler ist eine gute Sache, es wäre bloß besser, solche Aktionen wären gar nicht nötig.“ Sie bemüht einen Vergleich, um zu erklären, was sie meint. „Der Fairteiler ist wie der Weg zum Ziel, dabei liegt das Ziel auf der anderen Straßenseite.“ Würden die Supermärkte nicht im Überfluss anbieten, und die Kunden auch Ware mit kleinen Fehlern akzeptieren, könnten die Märkte nicht so viel aussortieren. Damit hätten dann auch die Foodsaver weniger Arbeit. Also wie bei den Tafeln? Es ist zwar gut, dass es so was gibt, weil der Bedarf da ist, aber noch besser wäre, sie würden nicht gebraucht weil Menschen nicht bedürftig sind? „Ja genau so“, stimmt Leila zu. Dass sich die Lage irgendwann ändert, die Supermärkte also ihr Angebot auf ein vernünftiges Maß reduzieren und deren Kunden bewusster einkaufen, glaubt sie dennoch. „Ich hoffe es zumindest.“

Nach insgesamt einer guten dreiviertel Stunde ist das Werk der Foodsaver für heute vollbracht, der Fairteiler ist aufgeräumt und mit frischen Lebensmitteln gefüllt. Zu guter letzt macht Leila mit dem Smartphone noch schnell ein Foto und postet es in der Facebookgruppe „Foodsharing“. „Fairteiler frisch aufgefüllt mit buntem Allerlei!“ schreibt sie dazu. Die Antwort kommt prompt: „Bin gleich da, ich habe Hunger“, kommentiert ein User.

Buntes Allerlei- Obst im Fairteiler
Aus der Reihe was der Supermarkt nicht mehr wollte- heute die Honigmelone

Für Mainz sind insgesamt drei Fairteiler verzeichnet. Ihre Standorte sind auf einer interaktiven Karte einzusehen. Unter www.lebensmittelretten.de finden Interessierte mehr Informationen zum Konzept und können sich als Foodsaver registrieren. Auch über andere Aktionen zur Rettung von Lebensmitteln finden sich hier Informationen. „Der Fairteiler ist nur die Spitze des Eisberges“, sagt Miklobusec.

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