Leben auf die andere Art: Raphael Fellmer verwendet kein Geld

Fellmer im Gespräch mit seinem Publikum
Raphael Fellmer stellt sich den Fragen seines Publikums, durchaus auch kritischer Natur. Foto: Lisa Bergmann

Ein Guru, der eigentlich keiner ist, auf Stippvisite in Mainz: auf seinem gut besuchten Vortrag erzählt der Berliner von seinem Lebensentwurf. Er lebt nicht nur ohne Geld, sondern ist auch Mitbegründer des Projektes Foodsharing. Sein Leben ist möglich, aber nicht das Maß aller Dinge.

Mainz. Das kleine vegane Café ist bis in den letzten Winkel besetzt, etwa 60 Menschen drängen sich hier. Für viele ist der Vortrag heute quasi ein Pflichttermin, haben sie sich doch einem veganen und nachhaltigen Lebensstil verschrieben. Deshalb sind sie gekommen, um einen zu hören, der so etwas wie ihr Guru sein könnte. Raphael Fellmer lebt nicht nur vegan, sondern ist auch Mitbegründer des Projektes Foodsharing und lebt seit 2010 im Geldstreik. Letzteres brachte ihm in den letzten Jahren viel mediale Aufmerksamkeit, sein Name ist mittlerweile nicht nur in veganen Kreisen ein Begriff. Und er nutzt diese Aufmerksamkeit, um seine Projekte voran zu bringen: „Food Sharing ist eine Bewegung geworden. Den guten Ruf, den wir haben, wollen wir erhalten“, sagt er.

Dabei bringen ihn mit Food Sharing sicher die Wenigsten in Verbindung. Eher schon mit seinem Leben im Geldstreik. Denn das ist radikal, das ist anders. Er ist kein Aussteiger, der irgendwo im Wald lebt und Beeren sammelt. Fellmer hat Frau und zwei Kinder, lebt mit ihnen in Berlin. Im Prinzip eine fast bürgerliche Existenz- aber eben ohne Geld. Sie leben mietfrei im Haus einer Familie, die auch sämtliche Nebenkosten übernimmt. Auch gebrauchte Kleidung bekommen sie geschenkt. Fellmer spricht von „bedingslosem Schenken“, dass seiner Familie da zuteil wird. Geben, ohne etwas dafür zu erwarten. Trotzdem, glaubt er, haben auch die Schenkenden etwas davon.

„Respekt, Anerkennung und Vertrauen- das Gefühl einer Community entsteht dadurch“

Leihen, tauschen, sharen- so kann seine Familie offenbar gut existieren. Fast. Es ist die erste Frage aus dem Publikum und er hat mit ihr schon gerechnet. Was ist mit der Krankenkasse? Fellmer gibt zu: „Meine Frau verfügt über ein bißchen Geld.“ Sie hat ein Öko- Konto eingerichtet, darauf fließt das Kindergeld. Und finanziert die Krankenkasse für die ganze Familie. Wobei er selbst sie nicht nutze, sagt er. Die sei eher für die Kinder. Ganz ohne Geld geht es offenbar doch nicht. Fellmer geht offen damit um und sagt: „Ich lebe ohne Geld, aber ich bin noch immer ein Kapitalist.“ Denn er sei schließlich abhängig vom Geld anderer Leute, vom Geld eben jener Menschen, die „bedingungslos schenken“.

Der Ursprung von all dem war romantischer Natur. Kurz nach dem Abschluss der Universität erreichten den gebürtigen Berliner gleich zwei Einladungen zu Hochzeiten in Mexiko. „Da wollte ich gerne hin, aber ich habe nach einem Weg gesucht, möglichst ökologisch und geldfrei zu reisen.“ Also trampte er mit zwei Freunden von Berlin nach Mexiko. Im Januar seien sie los gelaufen, mit nur ein paar Dollar in der Tasche für Ein- und Ausreisegebühren. „Es war Magie vom ersten Schritt an“, sagt Fellmer. An dieser Stelle seiner Erzählungen geht es offenbar nicht ohne ein wenig Pathos.

Fellmer erzählt.
Nicht immer ohne Pathos: Fellmer erzählt.von seinem geldfreien Leben.. Foto: Lisa Bergmann

Zwei Italiener nahmen die Freunde dann in ihrem Segelboot mit über den Atlantik nach Brasilien, von dort ging es weiter nach Mexiko. Die Reise brachte ihm nicht nur jede Menge Erfahrungen und Begegnungen. Er lernte seine Frau kennen und traf eine folgenreiche Entscheidung: für ein gänzlich veganes Leben. Mit der Idee getragen hatte er sich allerdings schon länger: „Das ist so ein Schritt, der Jahre dauert.“ 2010 kehrte er mit seiner Frau und der in der Zwischenzeit geborenen Tochter nach Berlin zurück. Und richtete sich mit ihnen in seinem geldfreien Leben ein.

Die Ernährung stellte er durch regelmäßiges Containern sicher: „Ich habe quasi einen Master in Tonnentauchen gemacht“, sagt er. Aber langfristig konnte ihn das nicht zufriedenstellen. Immerhin sei Containern illegal und ändere auch nicht unbedingt viel an den Strukturen des Verschwendens, zumindest nur in einem begrenzten Rahmen. Die Idee des Lebenmittelrettens entstand, schnell kam eine Kooperation mit einer Berliner Bio- Supermarktkette zustande. Das Projekt Lebensmittelretten ging schließlich im Foodsharing auf, dem Konzept vom Taste the Waste Autor Valentin Thurn. 2012 ging die gleichnamige Homepage online, seither verbreitet sich das Lebensmittelretten in ganz Deutschland.

Fellmer ist damit noch nicht am Ende, er plant weiter. Etwa ein ökologisch- veganes Dorf oder Projekte, die das Miteinander fördern. „In jedem von uns steckt ganz viel drin. Wir können also mehr erreichen, wenn es zu mehr Für- und Miteinander kommt.“ Crowd- Sourcing statt Crowd Funding- nicht mehr Geld sammeln, sondern seine Fähigkeiten zur Verfügung zu stellen- sei das Ziel.

Bei all seinen Projekten und hehren Idealen- Fellmer wirkt nicht wie ein Missionar oder Dogmatiker. „Ich weiß, dass mein Lebenskonzept nicht für die ganze Gesellschaft in Frage kommt.“ Jeder solle auf seine Weise seinen Beitrag zu einer besseren Welt leisten, aber nur dann, wenn er sich damit auch wohl fühle.

„Wer zwar vegan lebt, ökologisch reist und sich ganz und gar der Nachhaltigkeit verschreibt, aber dabei ständig schlecht gelaunt ist, der ist kein gutes Vorbild.“

Es scheint also, als wolle Fellmer gar nicht der Guru des nachhaltigen Lebens sein. Ein Vorbild sicher, aber nicht das Maß aller Dinge. Aus seinem Lebensentwurf kann man lernen, ohne ihn bis ins letzte übernehmen zu müssen.

Mehr über sein geldfreies Leben erzählt Fellmer in seinem Buch „Glücklich ohne Geld“, das auf seiner Homepage kostenlos heruntergeladen werden kann.

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